Das Tiergericht
eine theatralische Untersuchung von (Un)Gerechtigkeit gegenüber Tier und Natur
Wer singt schöner: der Vogel oder der Mensch? Und haben wir das Recht, auf einen lauten Vogel zu schießen, oder auf einen, der falsch singt?
Montag, den 15, Februar 2021 wird ein 61 Jahre alter Musiker vom Landesgericht in Linz zu einer Geldbuße von 3250 Euro verurteilt. Der Sachlage nach hätte der Angeklagte 32 schwarze Raben und vorlaute Elstern vom Balkon seiner Wohnung mitten im Stadtzentrum nahe der Derfflingerstraße durch Kugeln getötet. Er war einer sehr viel härteren Strafe entkommen: zwei Jahre Gefängnis für Grausamkeit gegenüber Tieren und für den unerlaubten Besitz von Schusswaffen. Als man ihn zu seinem Vögelmassaker befragte, verteidigte der Musiker sich, indem er vorbrachte, er sei das Opfer einer „Geräuschverschmutzung“, die durch diese schwarzfedrigen Kreaturen verursacht worden wäre. Was ihm Ohrenschmerzen bereitet und ihn davon abgehalten hätte, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Außerdem, hatte er hinzugefügt, hätte er als Künstler eine auf Hass-Liebe beruhende Beziehung zu Tieren. Sicher ist er damit nicht allein. Erinnern wir uns an den Skandal, den eine Performance des belgischen Künstlers Jan Fabre 2012 ausgelöst hat, bei der drei Schauspieler gefilmt wurden, die im Rathaus von Anvers verängstigte Katzen von den obersten Treppen hinunterwarfen, die verzweifelt mit den Pfoten in der Luft ruderten, bevor sie mit Wucht am Boden aufschlugen. Der wegen Tierquälerei vor Gericht gebrachte Künstler gestand letztlich seinen Irrtum ein, der darin bestand, das berühmte Bild „Dalí Atomicus“ neuinterpretieren zu wollen, auf dem der Maler des Surrealismus mit fliegenden Katzen posiert. 2015 forderten Verteidiger von Tierschutzrechten in einer Online-Petition das Verbot der Inszenierung „Accidens“ von Rodrigo Garcia, in der ein lebender Hummer zerschnitten und dann gegessen wurde, und sammelten 29 000 Unterschriften. Der umstrittene Regisseur weigerte sich, seine Schuld einzugestehen. Er begnügte sich damit, einen langen öffentlichen Brief an seine Ankläger zu adressieren, in dem er sie als „Idioten“ bezeichnete. Seiner Ansicht nach wurde ein Hummer gefischt, um gegessen zu werden, und nicht um als Haustier gehalten zu werden. Er fügte hinzu, dass von allen Hummern, die jeden Tag zu Tische getragen würden, der Hummer in seiner Inszenierung der Einzige wäre, der für einen „poetischen Zweck“ stürbe.
Mit NEUSTART KULTUR „#TakeHeart Rechercheförderung”, durfte ich als freiberuflicher Autorin und Regisseurin an einem zweistufigen Kreativprozess arbeiten: die Entwicklung einer Erzählstruktur und die Skizze eines Inszenierungskonzepts für mein Projekt: Das Tiergericht.
Das Tiergericht ist eine theatrale Untersuchung der Beziehung zwischen den Menschen, insbesondere den Künstlern, und der Natur. Ich wünsche mir, dass das Theater sich selbst reflektiert, seine darstellerischen Fähigkeiten und seinen Begriff von Authentizität.
Der Forschungsprozess versuchte, die Inszenierung der Natur und ihre ästhetischen, politischen und ethischen Konsequenzen zu untersuchen.
Muss die Kunst über die Natur hinausgehen oder sie kopieren? Welche Art Beziehung von (Dis-)Kontinuität besteht zwischen Kunst und Natur? Wie entsteht die Inszenierung der Natur auf der Bühne und wo liegen ihre ethischen und ästhetischen Grenzen? Wo beginnt die Verantwortlichkeit des Künstlers und wo verirrt sich seine Phantasie? Man sagt, im Theater sei alles möglich. Die Toten kehren zurück und sprechen mit uns. Genauso Gespenster, die Gestalt annehmen. Aber wie zeigt oder spielt man den Wind, den Fluss, das Meer, den Baum, die Blume, den Vogel, die Sonne, den Fisch, den Elefanten und den Stein auf der Bühne? Kann man die Natur in Szene setzen, ohne sie zu „denaturieren“? Welche Beziehung unterhalten wir mit der nicht-menschlichen Intelligenz, den Mineralien, der vegetativen Welt und den Tieren? Hören wir gut genug hin, was sie uns zu erzählen haben?
Übersetzung aus dem Französischen von Corinna Popp.“